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12.03.2023 / Verein

Am Ende des Sturms ist der Himmel blau-weiß

Vereinsarchivar Prof. Dr. Thomas Spengler erinnert sich an die damalige Zeit des Kampfes gegen die Insolvenz. In seinem kommentierenden Beitrag schreibt er über die dramatische Situation des SV Darmstadt 98 in den Jahren 2007 sowie 2008 und wichtige Rettungsmaßnahmen der Fans. Außerdem ordnet er die Entwicklungen mit Blick auf die heutige Zeit ein und unterstreicht ihre Bedeutung für die Einigkeit des Klubs.

Hans Kessler (r.) zusammen mit dem ehemaligen Oberbürgermeister Walter Hoffmann, Foto: Harder

„Wenn wir auf das Jahr 2007 zurückblicken, können wir feststellen, dass der Verein sich bis September und seit geraumer Zeit in einer veritablen Krise befindet, die von massiven Spaltungen, Streitigkeiten und Dissonanzen gekennzeichnet ist und die in Rücktritten von Teilen des Präsidiums mündet. Die 98er zeigen nach innen und nach außen ein für sie völlig untypisches Bild. Das bis dahin in weiten Teilen untadelige Image trägt schweren Schaden.

Auf Initiative des Verwaltungsrates und hier vor allem dem Chef unseres damaligen Sponsors Amadeus Fire, Günther Spahn, tritt man im Sommer 2007 an Hans Kessler heran, mit dem Ansinnen, dass dieser als hervorragend in der Sanierungsberatung Beleumundeter dem Verein mit Rat und Tat zur Seite stehen solle. Unterstützung in diesem Ansinnen leistet auf herausragende Weise unser damaliger Oberbürgermeister Walter Hoffmann. Einen ersten Anruf in dieser Angelegenheit erhält Hans Kessler in einem nordamerikanischen Fluss knietief im Wasser stehend beim Fliegenfischen. Walter Hoffmann weilt gerade irgendwo in der britischen Wildnis und beide vertelefonieren ein kleines Vermögen via Satellitentelefon. Dabei wird deutlich, dass es nicht nur um den SV 98, sondern auch um den Erhalt eines gewichtigen Teils Darmstädter Sport- und Kulturgeschichte geht. Der OB überzeugt Hans Kessler davon, als Präsident zu kandidieren.

Kessler entwickelt ein Konzept, das er gerne als Manifest bezeichnet, also einen Ziel- und Maßnahmenplan, der dann generalstabsmäßig umgesetzt wird. Seine Vorstellungsrunde beginnt im Verwaltungsrat, bei Granden des Vereins, in Politik und Wirtschaft aber auch bei den Fans. Bei letzteren beginnt er seine Ausführungen mit den Worten: „Bevor falsche Gerüchte aufkommen: Erstens: Ich bin im Ferrari gekommen, aber… der gehört mir und er ist bezahlt und zwar von mir. Ich fahre ihn, weil es mein Hobby ist. Punkt. Und zweitens: Auf dem Nummernschild steht OF und zwar, weil ich im Landkreis wohne und ansonsten mit OF nix am Hut habe.“ Schweigen… die Zuhörer schauen sich gegenseitig verwundert an, das Eis ist gebrochen.

Er wird dann in einer denkwürdigen, historischen Mitgliederversammlung einstimmig zum neuen Präsidenten gewählt. Mit der Verkündung des Ergebnisses gehen Standing Ovations durch die bis auf den letzten Platz gefüllte Orangerie. Dann kommt seine Antrittsrede. Da spricht ein Mann, der es vermag zerstrittene Parteien zu befrieden. Er teilt die Mitglieder nicht in Gut und Böse, Freund und Feind. Nein, er spricht über eine schöne, erstrebenswerte und gute Zukunft. Die Mitglieder sind begeistert.

Die ersten Wochen lassen sich gut an. Das Präsidium arbeitet diszipliniert und fleißig. Alles läuft planmäßig, aber nur bis zum Dezember 2007. Da werden im Zuge behördlicher Untersuchungen Unterlagen beschlagnahmt. Der SVD ist pleite, Forderungen der Sozialversicherungsbehörden und des Finanzamtes belaufen sich auf 2 Mio. Euro (der Betrag wird später auf 1,1 Mio. reduziert) und es dauert bis zum 6. März 2008 bis wir traurige Gewissheit erhalten: Der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens muss gestellt werden. Die Mitglieder und Fans sind geschockt. Noch am Abend der entsprechenden Mitteilung finden sich über 100 Besorgte in der Lilienschänke ein. Gerötete Augen und sorgenvolle Mienen sind durchgängig zu sehen. Dann hält der Verfasser dieser Zeilen (unterstützt von Hans Kessler) eine Rede. Mit einer Zuversicht und Mut ausstrahlenden Ansprache, schaffen sie es, die Stimmung ins Positive umzulenken. Tenor: Wir sind die 98er, wir schaffen das! Die Gesichter ändern sich, erste Pläne zur Vereinsrettung werden diskutiert und damit die Basis für eine noch nie dagewesene Batterie von Rettungsaktionen gelegt. Bis zur Rücknahme des Antrages vergeht jedoch ein gutes Jahr, mit vielen Aufs und Abs. Durch unzählig viele kleine und große Aktionen gelingt es der Stadtbevölkerung und allen 98ern, das noch nie Dagewesene zu erreichen: Die Rücknahme des Antrages auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens aus eigener Kraft. Von besonderer Symbolkraft sind dabei u.a. die wöchentlichen Mahnwachen an der Feuertonne vor dem Stadion. Dabei wird ein Zusammenhalt und Kampfesmut erzeugt, der uns bis heute trägt. Die 98er sind wieder ein geeinter Verein und die Erfolge der vergangenen Jahre wären ohne die Initialzündung aus den Jahren 2008 und 2009 nicht möglich gewesen.“

Prof. Dr. Thomas Spengler
Vereinshistorisches Referat

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