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09.10.2023 / Nachhaltigkeit & Soziales

Eine besondere Erfahrung

Eine Nacht im Freien. Auf hartem Untergrund, ausgestattet einzig mit Isomatte und Schlafsack. Für die Teilnehmer der Open-Air-Übernachtung im Merck-Stadion am Freitag (6.10.) wurden diese Gegebenheiten zu einer erstmaligen und eindrucksvollen Erfahrung. Doch für viele Menschen ist es eine tagtägliche und traurige Realität.

Foto: SV 98

„Hätte ich nicht gewusst, dass ich hier sicher bin, wäre das nochmal eine ganz andere Nummer gewesen“, erzählt Lilienfan Heidi. Doch mit ebendieser Unsicherheit haben die Obdachlosen in Deutschland und damit auch in Darmstadt tagtäglich zu kämpfen. Es ist ein Kampf, der seine Bestreiter mit Wunden und Naben zeichnet. Auf der Straße zu leben bedeutet, nie in vollständiger Sicherheit zu sein, keinen Rückzugsort oder festen Schlafplatz zu besitzen, keine eigene Toilette zu haben und das persönliche Hab und Gut beschränkt sich in vielen Fällen auf ein Minimum. Eine Situation, die besonders jetzt, wo die kalten Wintermonate vor der Tür stehen, immer härter wird.

Damit dieser Problematik mehr Aufmerksamkeit gewidmet wird, hatte der SV Darmstadt 98 „Im Zeichen der Lilie“ seine Fans am Freitag (6.10.) zu einer Stadion-Übernachtung eingeladen. Für einen Betrag von 49 Euro war es möglich, Teil der Aktion zu werden. Für 98 Euro erhielten die Übernachtungsgäste zusätzlich einen Schlafsack und eine Isomatte, die am Ende an Institutionen der Obdachlosenhilfe gespendet wurden. Neben den Schlafutensilien, kommen auch die gesamten Einnahmen und Spendengelder diesen Organisationen zu Gute. Ziel des Ganzen? Zumindest ansatzweise am eigenen Leib zu erfahren, was es heißt bei Temperaturen unter 10 Grad auf harten, kaltem und vor allem ungewohntem Boden und ohne ein Dach über dem Kopf zu schlafen.

"Guckt nicht weg"

Gegen 20 Uhr öffnen sich die Tore des Merck-Stadions und die ersten Gäste trudeln ein. Unter ihnen auch Moni, eine ehemalige Obdachlose und ihre Freundin Petra, die sich seit zwei Jahren jeden Tag der Arbeit in der Obdachloshilfe widmen und ihre Erfahrungsberichte teilen möchte. Auch Bürgermeisterin Barbara Akdeniz und Vertreterinnen und Vertreter der Diakonie und der Institution Horizont e.V. finden sich in der Haupttribüne ein. Dort startet das Rahmenprogramm: Nachdem Lilien-Vizepräsident Markus Pfitzner die Runde begrüßt hat, gibt er das Mikrofon weiter an die Bürgermeisterin. Diese nennt die Aktion eine „super Idee“ und ein Thema, mit dem sie sich seit vielen Jahren auseinandersetzt und eine solche Aktion dabei „so noch nicht erlebt hat“. Wichtig sei ihr aber vor allem eins: Menschen helfen! Menschen anzusprechen und nachzufragen, wenn es den Eindruck hat, als bedarf es an Hilfe. Diesen Appell unterstützt auch Nicole Frölich von der Diakonie. Zwar habe Darmstadt ein sehr gutes Hilfesystem, dennoch herrsche ein falsches Bild in der Öffentlichkeit. Die Betroffen suchen sich ihre Situation nicht selbst aus, sondern erleiden oftmals harte Schicksalsschläge.

Von einem solchen berichtet dann auch Moni. Und mit ihren Erzählungen wird das Thema plötzlich so richtig greifbar. „Ich habe Jahre lang auf der Straße gelebt, zusammen mit meinem kleinen Hund. Ich wurde angespuckt und zusammengetreten. Ich bitte alle Menschen da draußen, guckt nicht weg! Bitte helft! Und wenn es nur ein Brötchen oder ein Wasser ist, ganz egal.“ Während ihren Schilderungen stockt ihr immer wieder selbst die Stimme und sie blickt in zahlreiche bewegte Gesichter der Zuhörer, die teilweise mit den Tränen zu kämpfen haben.  

Im abschließenden Vortrag von Dr. David Lorenz von der Frankfurt University of Applied Sciences geht es dann noch um aktuelle Studienergebnisse rund um das Leben und den Alltag von Obdachlosen, denn „das Leben als Obdachloser Mensch erfordert eine hohe Organisations- und Überlebenskompetenz.“

Die Runde klingt mit einem gemeinsamen Pizza-Essen und guten Gesprächen aus, bevor im Anschluss die Isomatten und Schlafsäcke verteilt werden. Danach wird es allmählich still im riesigen Bölle-Schlafzimmer.

Es könnte ein fester Termin im Kalender vom SV Darmstadt 98 werden.

Florian Holzbrecher, Leiter Events & CSR

Wild verteilt haben sich die rund 40 Fans ihre Nachtlager im Stadion aufgebaut. Heidi verschlägt es beispielsweise vor den Block-Eingang G2: „Ich habe eine Dauerkarte hier im G2 Bereich, deswegen habe ich mir hier ein Plätzchen gesucht. Es ist ja sozusagen mein Revier.“ Doch ob vor der Süd, im Spielertunnel, auf den Spielerbänken, vor dem Logeneingang oder auf der Gegengerade – ein jeder ist gespannt auf die Erfahrung und die Herausforderung, die die anstehende Nacht wohl mit sich bringt. Auch Ruben Döring, Trainer der ID-Mannschaft der Lilien ist dieser Meinung: „Ich kann aus meiner Erfahrung heraus sagen, dass man auch mal die Perspektive ändern muss. Indem man etwas selbst erfährt, erlebt man es ganz neu und wird ganz anders darauf aufmerksam.“ Ähnlich sieht das auch Obdachlosenhelferin Petra: „Manche schlafen auf einfachen Gummimatten oder sogar nur auf Kartons – alleine um das etwas besser nachvollziehen zu können, bin ich froh, es jetzt einmal selbst zu erleben.“ Eine ganz neue Art von Stadionatmosphäre. 

Der Tag danach. Beim gemeinsamen Frühstück unter freiem Himmel werden die Erfahrungsberichte der letzten Nacht ausgetauscht. Das Fazit? Bitterkalt war es zwar nicht, aber: „steinhart und ständig geht der Schlafsack irgendwo auf“, wie Pfitzner resümiert. Ähnlich sehen es auch die weiteren Übernachtungsgäste. Der allgemeine Tenor: Eine Erfahrung, die niemand der Teilnehmer missen möchte.

Es ist das Stichwort Sensibilisation, das die Menschen an diesem Wochenende zusammengebracht hat. Und mit der Übernachtungsaktion hat der SV Darmstadt 98 ein wichtiges Zeichen gesetzt. Auch Florian Holzbrecher, Leiter Events & CSR der Lilien, zeigte sich im Anschluss sehr zufrieden: „Wir freuen uns darauf, wenn wir es nächstes Jahr vielleicht wieder machen können. Es könnte ein fester Termin im Kalender vom SV Darmstadt 98 werden und vielleicht nehmen nächstes Jahr noch mehr Menschen daran teil. Wobei ich auch sehr froh und stolz darüber bin, dass wir über 40 Menschen gefunden haben, die teilgenommen haben.“

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