sv98.de: Michael, aus deinem Büro siehst du täglich die Haupttribüne, die sich immer mehr ihrer Fertigstellung nähert. Daher im wahrsten Sinne des Wortes: Wie blickst du darauf?
Michael Weilguny: Es ist ein weiterer Meilenstein in der Entwicklung des SV 98. Grundsätzlich lässt sich der Weg des Vereins in den vergangenen zehn bis fünfzehn Jahren in drei große Blöcke unterteilen. Zunächst ging es um die wirtschaftliche Konsolidierung, dann um die sportliche Konsolidierung und seit 2015 standen wir durch den rasanten sportlichen Aufstieg vor der Herkulesaufgabe, quasi die komplette Infrastruktur des Vereins zu modernisieren – von baufällig auf ein modernes Profifußballniveau. Angefangen von den Trainingsplätzen über den Neubau des Nachwuchsleistungszentrums bis zur Geschäftsstelle und dem kompletten Stadion, bei dem wir nun kurz vor dem Abschluss der Umbauarbeiten stehen. Entsprechend gut fühlt sich der Blick aus dem Fenster an, auch wenn wir noch etwas Arbeit vor uns haben.
sv98.de: Mittlerweile haben schon die ersten Lilienfans Spiele von der Haupttribüne aus verfolgen können, komplett abgeschlossen ist der Umbau aber noch nicht. Speziell im Innenleben der Tribüne muss noch gewerkelt werden. Warum wird trotzdem am 17. Dezember ein Eröffnungsspiel ausgetragen, wenn noch nicht alle Arbeiten beendet sind?
Weilguny: Umbauarbeiten bei solchen Großprojekten sind bekanntermaßen leider zeitlich nicht genau zu takten, dies gilt umso mehr in den aktuellen Zeiten mit Lieferschwierigkeiten und Preisexplosionen. Aber für uns bietet sich an diesem Tag in einer extrem langen Winterpause eine einmalige Chance, die Aufmerksamkeit auf unsere Entwicklung, speziell im Bereich der Infrastruktur zu legen. Zudem können wir erstmals seit Ende 2018 wieder die gesamten Plätze auf allen Tribünen nutzen. Deswegen passt der 17. Dezember hervorragend und wenn man die Gesamtentwicklung der vergangenen Jahre betrachtet, kann man sicherlich auch ein Auge zudrücken, wenn die Innenbereiche leider noch nicht benutzt werden können. Ich denke, jeder von uns war auch schon im privaten Umfeld auf einer Einweihungsparty, bei der noch nicht alle Lampen angebracht oder Bilder aufgehängt waren. Die Freude über das große Ganze sollte dies bei der Projektgröße nicht schmälern. Und wir glauben, auch die Lilienfans sehen das ähnlich. Deswegen freue ich mich auf dieses Highlight in der fußballfreien Zeit, um unsere tolle Mannschaft und die Entwicklung des SV 98 in der jüngeren Vergangenheit zu feiern. Zumal mit den Young Boys der Schweizer Tabellenführer zu Gast ist und es bekanntermaßen eine tolle Fanfreundschaft zwischen beiden Fanszenen gibt.
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sv98.de: Zur Gesamtentwicklung der Vergangenheit gehört auch, dass der SV 98 mittlerweile Eigentümer des Stadions ist. Was bedeutet das für einen Verein?
Weilguny: Das ist schon etwas Besonderes und nicht unbedingt die Regel bei einem Klub unserer Größenordnung. Ich muss auch ehrlicherweise sagen, dass es nicht nur Vorteile hat, Eigentümer eines Stadions zu sein. Als Mieter ist die Miete ligenabhängig gestaffelt und in schwierigen Zeiten besteht häufig auch die Möglichkeit, die Zahlungen über einen gewissen Zeitraum auszusetzen. Das konnte man zuletzt in der Corona-Zeit an vielen Standorten beobachten. Als Eigentümer musst du immer den Betrieb bezahlen, immer die Tilgungsraten bedienen. Für uns war dieser Schritt aber notwendig, um die Lizenzierungs- und Sicherheitskriterien erfüllen zu können und die Existenz des Vereins nicht zu gefährden. Und natürlich bringt es auch viele positive Dinge mit sich.
sv98.de: Die da wären?
Weilguny: Als Eigentümer konnten wir viel besser auf die Wünsche unserer Fans und Mitglieder eingehen. Auch deshalb haben wir ein Stadion gebaut und keine Arena mit vier geschlossenen Ecken und kaum Stehplätzen. Zudem liegen sämtliche Vermarktungsrechte bei uns, sei es für die Namensrechte, aber auch für Werbe- oder Cateringrechte. Da haben wir weiterhin die Fäden in der Hand, das ist natürlich ein Vorteil. Und es macht uns auf gewisse Weise schon stolz, sagen zu können, dass wir Eigentümer unseres Wohnzimmers sind. Das ist eine Leistung von ganz vielen Parteien. Vom Gesamtverein, den Fans, Mitgliedern, Sponsoren und der Wissenschaftsstadt Darmstadt & dem Land Hessen als Fördermittelgeber. Wir sind nun mal ein Verein, der nicht von einem oder zwei Partnern wirtschaftlich getragen wird, sondern der sich über die Gemeinschaft definiert. Entsprechend glücklich sind wir auch über das Mitgliederwachstum der vergangenen Monate und freuen uns über jeden weiteren Neuzugang in der Lilien-Familie.
sv98.de: Das Stadion steht weiterhin am Traditionsstandort. Ein anderer Ort wäre auch schwer vorstellbar gewesen, oder?
Weilguny: Es fühlt sich richtig an, dass der SV Darmstadt 98 seine Spiele weiterhin am Böllenfalltor austrägt. Seit 1921 schlägt hier das Herz der Lilien. Ein Stadion in der Nähe zur Innenstadt, auf besondere Art einzigartig und kein Baumarkt auf der grünen Wiese. (lacht) Das Bölle ist für viele fußläufig oder mit dem Rad zu erreichen, die Bahn hält direkt davor, die Kneipen sind nicht weit entfernt. Der Standort hat ganz viel von dem, was einen Stadionbesuch ausmacht.
sv98.de: Nur etwas größer hätte das Stadion schon werden dürfen. Zumindest ist dieser Satz häufiger zu lesen…
Weilguny: Bekanntermaßen ist ein Umbau im Bestand an gewisse Vorgaben geknüpft unter anderem an die vorherige Zuschauerzahl. Entsprechend ist diese Kapazität das Ergebnis der Entscheidung für den Umbau im Bestand am Standort Böllenfalltor. Bekanntlich wurden in der Vergangenheit auch andere Möglichkeiten und Standorte geprüft, die nicht realisierbar oder zufriedenstellend gewesen sind.
sv98.de: Bei einem Bauprojekt dieser Größe spielen immer auch die Finanzen eine Rolle. Auch hier hat der SV 98 eine kleine Sonderrolle inne, oder?
Weilguny: Wir sind zumindest der einzige hessische Verein, der den Umbau und Betrieb seines Stadions von Beginn an selbst umgesetzt hat. Das war ein infrastruktureller und finanzieller Marathon, bei dem wir von Stadt und Land natürlich auch unterstützt worden sind, einen maßgeblichen Teil aber selbst stemmen. Auch darauf können wir durchaus stolz sein. Das sind alles Dinge, die in der Schnelllebigkeit des Fußballs häufig untergehen.